banner

Nachricht

Nov 26, 2023

Die Metallindustrie stehe vor einem der größten Umbrüche in der Geschichte, sagt ein Experte

12. November 2019

von Peter Hergersberg, Max-Planck-Gesellschaft

Metallische Werkstoffe sind das Rückgrat moderner Volkswirtschaften. Allerdings entstehen bei der Herstellung und Verarbeitung große Mengen CO2. Die Metallindustrie muss daher künftig klimafreundlichere Verfahren einsetzen. Auch die CO2-Bilanz von Legierungen und deren Komponenten muss über deren gesamte Lebensdauer verbessert werden. Dierk Raabe, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf, erläutert, welche Möglichkeiten Industrieunternehmen diesbezüglich bereits haben und welche Aufgaben sich Metallurgen stellen müssen, um das Ziel einer nachhaltigen Metallindustrie zu erreichen.

Herr Professor Raabe, was könnten die Stahlindustrie und andere metallverarbeitende Branchen heute tun, um ihren Ressourcenverbrauch und ihren CO2-Fußabdruck schnell und spürbar zu reduzieren?

Korrosionsschutz hat eine erhebliche Wirkung, denn er macht Produkte langlebiger. Dabei geht es nicht nur um Eisen, das rostet, sondern auch um andere Materialien wie Aluminium oder Nickel. Dabei geht es beispielsweise auch um Korrosion durch Wasserstoff, der auf Metalle eine viel extremere Wirkung hat als Wasser und Sauerstoff. Es kann zu Wasserstoffversprödung kommen, einem Schaden, der zu einem plötzlichen, katastrophalen Ausfall von Komponenten führen kann. Dies war beispielsweise eine der Ursachen für die Katastrophe der Deep Water Horizon. Aber auch in Kraftwerken, Industriegebäuden und im Verkehr spielt es eine Rolle, insbesondere wenn wir in Zukunft stärker auf Wasserstoff als Energiequelle setzen wollen. Auch wenn Korrosionsschutz für Laien nicht so spannend klingt, hat er doch einen erheblichen Hebel, denn jedes Jahr werden bis zu 4 % der Weltwirtschaftsleistung durch Korrosion zerstört.

In manchen Bereichen ist Korrosionsschutz bereits weit verbreitet. Beispielsweise in der Automobilindustrie. Früher stellte sich beim Autokauf die wichtige Frage: Wie schnell rostet es? Das gehört nun der Vergangenheit an. Allerdings sind Industrieanlagen, Wolkenkratzer, Brücken, Kraftwerke oder Züge – man denke nur an den Eisenbahnunfall bei Eschede im Jahr 1998 – immer noch stark korrosionsanfällig. Und dieser wird sich erst vervielfachen, wenn in den nächsten zehn Jahren Wasserstoff als Energieträger hinzukommt.

Einen großen Einfluss wird auch die Elektrifizierung der Metallproduktion haben. Aluminium, nach Stahl der zweitwichtigste metallische Werkstoff für die Flugzeug- und Automobilindustrie, wird seit langem durch elektrolytische Reduktion von Aluminiumerz synthetisiert. Dafür wird viel Strom benötigt, der teilweise bereits aus erneuerbaren Quellen wie Wasserkraft gewonnen wird. Sie können auch andere Metalle – sogar Eisen – durch Elektrolyse herstellen. Aufgrund der hohen Strompreise lohnt sich dies jedoch nicht. Insgesamt ist die Elektrifizierung einer der größten Hebel für die Nachhaltigkeit der Primärproduktion und Weiterverarbeitung von Metallen, wenn der Strom ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammt.

Der schleppende Ausbau der Stromtrassen für Ökostrom dürfte endlich für Tempo sorgen. Denn es muss klar gesagt werden, dass man in Regionen wie dem Ruhrgebiet, in denen Eisen produziert wird, noch viele Jahre auf einen Anschluss an eine für solche Industrien ausreichende Ökostromversorgung warten muss, wie ein Blick auf die Homepage der Bundesnetzagentur zeigt zeigt an. Darüber hinaus zeigen Marktschätzungen beispielsweise des Wuppertal Instituts, dass es bis zu 20 Jahre dauern könnte, bis vollelektrische Verfahren wettbewerbsfähig werden.

Für die Stahlindustrie würde dies jedoch bedeuten, dass sie von der Hochofenproduktion auf völlig neue Prozesse umsteigen müsste. Ist das realistisch?

Selbst für einzelne Teile integrierter Stahlwerke und Aluminiumhütten sind die Investitionskosten so hoch, dass sich die Industrie einen Wiederaufbau alle zehn Jahre nicht leisten kann. Zunächst könnten die Hochöfen jedoch sogar so belassen werden, wie sie sind. Die Industrie kann den zu reduzierenden Kohlenstoff (also Koks, Kohle, Biomasse und Plastikmüll) durch bis zu 20 % Wasserstoff ersetzen, der natürlich aus Wasser mit regenerativem Strom erzeugt werden müsste. Und da die Stahlindustrie für rund 6 % des weltweiten gesamten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, hätte dies erhebliche Auswirkungen. Diese Verfahren werden bereits an mehreren Orten auf der Welt getestet. Mittelfristig kann die Industrie auch die Produktion auf Direktreduktion umstellen. Dabei werden körnige Oxidpellets (wie sie beispielsweise von Minen nach der Erzverarbeitung angeliefert werden) als Feststoffe in einen Ofen gefüllt und direkt mit Methan umgewandelt. In Ländern, in denen Methan erschwinglich ist, wird dies schon seit Langem praktiziert. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass die Anlagen prinzipiell auf bis zu 100 % Wasserstoff umgestellt werden können.

Das vollständig wasserstoffbasierte Verfahren wird 10 bis 12 Jahre benötigen, bis es auf den Markt gebracht werden kann. Es wird geschätzt, dass sie ca. sein werden. 30 % teurer als die derzeitige Hochofenproduktion. Und die CO2-Preiserhöhung ist noch nicht abschließend geklärt. Es kann daher sein, dass in 10 Jahren ein um 30 % erhöhter wettbewerbsfähiger Marktpreis erreicht wird, wenn entsprechend weniger nachhaltige Konkurrenzmaterialien von außerhalb der EU vergleichbaren Bedingungen unterworfen werden. Die schlechteste aller Lösungen wäre, dass die Metallproduktion aus Europa verschwindet und wir nicht nachhaltige Metalle aus Ländern außerhalb der EU kaufen. Europa braucht eine unabhängige und nachhaltige metallproduzierende und verarbeitende Industrie, nicht zuletzt, weil sie jährlich rund 400 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Einerseits kann die Stahlindustrie Eisen CO2-reduziert produzieren. Die Unternehmen sehen bereits jetzt die Notwendigkeit dafür, weil sie abschätzen können, dass die Kosten aufgrund der CO2-Bepreisung in den nächsten Jahren steigen werden und weil beispielsweise Automobilhersteller hoffen, in Zukunft einen immer größeren Anteil an CO2-reduziertem Stahl einsetzen zu können. Andererseits ermöglicht die Direktreduktion den Unternehmen auch eine größere Flexibilität. Ein Hochofen muss kontinuierlich in Betrieb gehalten werden. Andernfalls wird es zusammenbrechen. Mit Öfen zur Direktreduktion können sich Unternehmen deutlich flexibler an den Markt anpassen und Stähle in verschiedenen Qualitäten produzieren. Wir sind auch überrascht, dass die Stahlindustrie weltweit bereits in großem Umfang die Umstellung auf solche Anlagen plant und in Angriff nimmt. Einige bestehende Anlagen werden bereits auf Wasserstoff umgestellt. In den nächsten Jahren wird die Metallindustrie einen der größten Umbrüche in der Geschichte erleben. Seit über 3500 Jahren wird Eisen (im Prinzip) mit dem gleichen Reduktionsverfahren hergestellt.

Bei politischen Entscheidungen sollten wir auf jeden Fall analysieren, wie sich gesetzgeberische Maßnahmen wie Subventionen oder Verbote auf die CO2-Bilanz über komplette Lebenszyklen auswirken. Wenn man beispielsweise viel Geld in die vollständig elektrolytische Herstellung von Stahl investieren würde, würde das großartig klingen. Ein Blick auf den Strommix zeigt jedoch, dass es wie beim Elektroauto immer noch 25 % Braunkohlestrom gibt. Dann haben wir nichts gewonnen. Auch Nachhaltigkeit muss nachhaltig gedacht werden. Es nützt nichts, anzugeben.

Beispielsweise durch Anreize für geschlossene Schrottkreisläufe in der Industrie. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt einige Automobilunternehmen, die im Premiumsegment bereits überwiegend nur noch Aluminiumautos produzieren und teilweise bis zu 300.000 Tonnen Aluminium pro Jahr verarbeiten. Beim Ausstanzen der Bauteile aus dem Blech gehen jedoch bis zu 45 % des Materials verloren. Jetzt könnte man meinen, sie würden ihren eigenen Schrott einsammeln. Denn wenn das Aluminium so rein ist, ist es wie Bargeld in der Hand. Doch nur wenige Unternehmen tun dies konsequent. Zum Beispiel hier in der EU. Ansonsten ist es für viele Unternehmen immer noch deutlich günstiger, Neumaterial am Markt einzukaufen, statt geschlossene Schrottkreisläufe aufzubauen. Zudem ist der Großteil des Altmetalls bereits gemischt, wodurch sich sein Wert auf bis zu einem Zehntel verringert. Beispielsweise würde die frühzeitige Schaffung steuerlicher Anreize für getrennte Abfallkreisläufe viel mehr bewirken, als nur Kaffeekapseln oder Folienverpackungen zu sammeln, die wir als Verbraucher produzieren. Das heißt nicht, dass wir uns nicht um sie kümmern sollten. Aber im Vergleich zu Industrieabfällen kommt es auf die Nachkommastellen an.

Derzeit werden in vielen Produkten viele unterschiedliche Legierungen verwendet, da sie alle über besondere Eigenschaften verfügen. Zunächst betrachten wir, welche Elemente in Legierungen vorkommen, wenn eine bestimmte Menge Schrott verwendet wird. Beispielsweise findet man das extrem teure Neodym aus Elektromotoren von Fensterhebern und Co. schon heute im recycelten Aluminium von Autos wieder, weil es vor dem Einschmelzen nicht getrennt wird. So finden wir in Legierungen über 20 Elemente, die wir vorher nicht hatten. Wir untersuchen, wie solche Verunreinigungen die Eigenschaften von Legierungen verändern. Wir hoffen herauszufinden, wie unrein ein Material sein kann und trotzdem seinen Zweck erfüllt. Wenn wir wissenschaftlich nachweisen können, dass ein Material weniger rein sein kann, können wir den Schrottanteil erhöhen und so den CO2-Fußabdruck massiv reduzieren.

Wir prüfen solche Möglichkeiten. Wir prüfen systematisch, wo viel Material verbraucht wird und ob wir Legierungen herstellen können, die mehr Verunreinigungen vertragen. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass die Bauindustrie immer mehr Aluminiumlegierungen verwendet, die der Aluminium-Mangan-Legierung von Getränkedosen ähneln, für Dachziegel, Verkleidungen, tragende Elemente, Aufzüge und dergleichen. Bei Dosen ist der Recyclinganteil und damit die Menge an Verunreinigungen schon recht hoch, da die Legierung relativ gutmütig ist und nicht viel können muss. Wir wollen nun untersuchen, ob der Dosenschrott, der in vielen Ländern in größeren Mengen als in Deutschland anfällt, auch für Bauzwecke verwendet werden kann.

Wir versuchen, die Anzahl der Legierungen zu reduzieren und eine Art einheitliche Legierung zu entwickeln. Dies wäre viel besser zu recyceln, da viel weniger Sortierung erforderlich wäre. Bisher wurde die Spezialisierung von Materialien immer mit einer chemischen Veränderung erkauft: Materialwissenschaftler tüfteln an der chemischen Zusammensetzung herum, bis der Kotflügel, das Flugzeugbauteil oder die Turbine besser wird. Diese extreme Sortenvielfalt, die das Recycling erschwert, möchten wir reduzieren. Ein konkretes Beispiel: Ein Automobilhersteller könnte verlangen, dass ein Stahl- oder Aluminiumproduzent nur zwei statt fünf Legierungen verwendet, die alle darauf abgestimmt sind, eine bestimmte Eigenschaft wie Festigkeit oder Oberflächenqualität zu verleihen.

Die grundlegende Frage hierbei ist, ob wir eine Diversifizierung nicht nur über die chemische Zusammensetzung, sondern vor allem auch über Veränderungen in der Mikro- und Nanostruktur erreichen können. Dies hat traditionell gut mit Metallen funktioniert. Um eine bestimmte Größe und Ausrichtung der Kristalle (als Beispiel) zu erreichen, muss man allerdings deutlich mehr Aufwand in die Herstellung investieren. Dieser Ansatz verschiebt den grundlegenden Ansatz der Materialproduktion von der Materialchemie hin zur Metallphysik.

Wenn Sie heute beispielsweise eine Aluminiumlegierung kaufen, können Sie zwischen bis zu 280 Legierungen wählen, die alles können, was Aluminium können sollte. Schaut man sich aber an, was wirklich in großen Mengen verkauft wird, sind es nur noch 50 oder 60 Legierungen. Und wenn man sich genauer ansieht, was diese Legierungen genau bewirken sollen, kann es sein, dass am Ende nur 20 oder 30 Legierungen übrig bleiben. Das ist natürlich nur eine grobe Schätzung.

Auch der CO2-Ausstoß der Metallindustrie könnte durch weniger Materialeinsatz reduziert werden. Sehen Sie Möglichkeiten, zum Beispiel Autokarosserien leichter zu machen?

Erstens: Autos sind in den letzten Jahrzehnten immer größer und schwerer geworden, unter anderem durch Zusatzausstattungen wie Klimaanlage, Verkabelung oder Bordcomputer, die heute als Mindeststandard gelten. Und natürlich ist die Situation bei Elektrofahrzeugen, bei denen allein die Batterie bis zu 800 kg wiegt, ziemlich extrem. Man könnte aber noch einmal 200 oder 300 kg drauflegen, wenn die Karosserien nicht schon viel leichter geworden wären, weil die Legierungen immer härter wurden. Dennoch besteht weiterhin ein Wettbewerb unter den Materialherstellern darum, wer die stärksten Stähle und Aluminiumlegierungen liefern kann. Denn noch sind wir bei nur etwa einem Zehntel der theoretisch möglichen Festigkeit dieser Materialien. Es gibt also noch viel Forschungsbedarf, um die Materialien an ihre physikalischen Grenzen zu bringen.

Du fragst wirklich die falsche Person. Tatsächlich werden für Autokarosserien immer wieder Polymerwerkstoffe mit Kohlenstofffasern propagiert. Aber im Hinblick auf die Ökobilanz ist das wirklich Unsinn. Die Herstellung von Carbonfasern erfordert einen extrem hohen Energieaufwand und setzt große Mengen CO2 frei. Und am Ende kann man die meisten dieser Materialien nur noch in die Müllverbrennungsanlage werfen. Es wird oft behauptet, dass diese polymerbasierten Materialien recycelt werden können. Man kann sie aber eigentlich nur zerhacken und daraus Matten machen. Metalle hingegen können unendlich oft recycelt werden, vorausgesetzt, dass der Schrott sortenrein gesammelt wird, die Auswirkungen von Verunreinigungen verstanden und kontrolliert werden und die Vielfalt der verwendeten Legierungen reduziert wird. Und leichte Magnesiumbauteile kommen vom Gewicht her schon sehr nah an Polymerbauteile heran, sind aber vollständig recycelbar.

Zur Verfügung gestellt von der Max-Planck-Gesellschaft

Zitat
AKTIE